Kirche in Zeiten ohne Gottesdienst

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Kirche in Zeiten ohne Gottesdienst

Am letzten Sonntag wollte ich zum Gottesdienst gehen. Ich hatte schon überlegt, ob man wohl den 51. Gottesdienstbesucher wieder wegschicken würde, denn Veranstaltungen über 50 Personen waren ja am Vorabend untersagt worden. Dann hatte ich mich aber damit getröstet, dass wahrscheinlich gar nicht so viele kommen würden, wegen des Verbots und aus Angst vor Infektion. Schon von weitem sah ich Pfarrer Ulrich Schöntube und Pfarrerin Elisabeth Roth und einige GKR Mitglieder vor der Kirchentreppe stehen. Das verhieß nichts Gutes. „Der Gottesdienst findet leider nicht statt“ teilte mir Ulrich Schöntube freundlich und mit offensichtlichem Bedauern mit.

„Wieso?“ fragte ich: „50 könnt ihr doch reinlassen, die Kirche ist doch groß genug. Wir können doch weit genug auseinandersitzen.“  „Wir haben sogar die Gesangbücher desinfiziert“, sagte Ulrich Schöntube, aber die Landeskirche hat beschlossen mit Rücksicht auf die Älteren und zur Eindämmung der Epidemie gänzlich auf Veranstaltungen aller Art zu verzichten.“  „Und die Passionsandacht? Und die geplanten Abendandachten zur Stärkung und zum Trost in der Krise“, fragte ich ungläubig. „Alles abgesagt“ war die Antwort. „Wenn die Kirche jetzt freiwillig zumacht, braucht sie gar nicht wieder aufzumachen“, sagte ich wütend. Abends konnten wir diese Unterhaltung im heute Journal sehen, zum Glück ohne meinen Wutausbruch.

Trotzdem: Der Lebensmittelhandel macht weiter, die Kliniken und Arztpraxen machen weiter, die Kirche mit geistlicher Nahrung und seelischem Heil macht freiwillig dicht und lässt vor allem die älteren Gläubigen jetzt  allein mit ihren Sorgen, zumal ja niemand gezwungen wird zu kommen. Erklärt  sich die  Kirche damit nicht selbst zu einem entbehrlichen Kulturverein? Die Kassiererinnen im Supermarkt sind bestimmt gefährdeter als die Pfarrer und ein Einkauf dort bei dem Gerangel um Klopapier und Konserven ist allemal gefährlicher als ein Gottesdienst.

Aber: Im Mittelalter erfolgten die meisten Pestinfizierungen auf den großen Bußgottesdiensten und Prozessionen. Das wussten die Menschen und die Kirchenoberen damals aber noch nicht. Heute sind sie klüger. Im Krieg kam die Bedrohung von außen, durch Bomben oder Hunger, da war es die Pflicht der Kirche, den Menschen beizustehen. Das Perfide an einer Epidemie ist, dass die Zusammenkunft von Menschen an sich die Gefahrenquelle darstellt. Auch die Zusammenkunft, um Trost zu spenden, zu beten und Fürbitte zu halten ist eine solche Gefahrenquelle – leider.  

Die Zahl der Infizierten steigt dramatisch weiter. Ich habe eine Karikatur weitergeleitet bekommen: Darauf zwei Comicfiguren: Pflegerinnen in Schutzkleidung mit dem Text: „Wir helfen Euch – helft Ihr uns und bleibt zu Hause.“ Solidarität und Rücksichtnahme und soziale Enthaltsamkeit sind also notwendig. Und hoffen und beten wir dafür, dass unsere Enthaltsamkeit dazu beiträgt, dass unseren Ärzten Entscheidungen darüber erspart bleiben, wem sie die knappen Beatmungsgeräte geben und wem nicht.

Und inzwischen habe ich mich auch mit unserer Kirchen- und Gemeindeleitung wieder versöhnt: Es gibt viele Angebote im Internet „Kirche zuhause“ und zahlreiche Angebote für zusätzliche telefonische Kontakte und Seelsorge. Die Webseite unserer Gemeinde wird aktuell gehalten, die ausgefallene Sonntagspredigt eingestellt. Die offene Kirche wurde sogar bis 20 h verlängert, um 12 h und um 18 h zum Glockenläuten ist ein Pfarrer oder Seelsorger vor Ort. Besonders toll finde ich, dass die Jugendlichen der Gemeinde für Ältere einen Einkaufsservice anbieten.  Der GKR hat dazu aufgerufen, telefonisch in Kontakt zu bleiben. Wir planen gerade den neuen Schaukasten – das geht auch telefonisch. Und wenn wir ihn dekorieren, sind wir an der frischen Luft und halten Abstand.

Gestern war ich lange ganz allein in der offenen Kirche, allerdings habe ich die Türklinke mit dem Ärmel aufgemacht, weil ich kein Taschentuch dabei hatte. Ich schaute auf das lila Passionstuch und die stilisierte Dornenkrone aus Ästen und dachte mir: Und wir regen uns über einen ausgefallenen Urlaub, ausgefallene Konzerte und ausgefallene Examen auf – was ist das im Vergleich zum Kreuzestod?  Für die meisten von uns geht es ja noch um ausgefallenes Vergnügen. Für viele Kleinbetriebe und Künstler geht es allerdings bald um die wirtschaftliche Existenz, die Regierung hat unbürokratische Hilfe zugesagt.  Aber für die Älteren geht es vielleicht bald um ihr Leben, wenn wir nicht vernünftig sind. Ein etwa 10jähriger Orgelschüler übte „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ von Paul Gerhardt. Das sind so Momente..….

Als ich aus der Kirche kam und mit dem Rad über die Plätze fuhr, waren die Cafes gut gefüllt, die Menschen genossen die Frühjahrssonne, als sei nichts geschehen. Wenn das so weitergeht, werden wir alle es mit einer absoluten Ausgangssperre bezahlen, so wie es in Italien, Frankreich und Spanien bereits der Fall ist. Dann sind nicht einmal mehr Waldspaziergänge möglich. Wollen wir es soweit kommen lassen?

Heute abend bin ich zum gemeinsamen Glockengeläut aus Hermsdorf und Frohnau um 20 h vor die Tür gegangen, sonst höre ich die Glocken nicht. Vorher hatte ich einen Kerzenleuchter ins Fenster gestellt. Ich habe – wie von unseren Pfarrern vorgeschlagen - ein Vaterunser gebetet in dem stärkenden Bewusstsein, dass es ganz viele mit mir tun und dieses Fürbittengebet:

 

Herr, wir danken dir für deine Güte und Barmherzigkeit,

für alles was Du uns bisher gegeben hast, Gesundheit, Wohlstand, Frieden, schier unbegrenzte Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung so viele schöne Erlebnisse, deine wunderbare Natur.  Verzeih uns Gott, dass wir das alles für so selbstverständlich genommen haben.

Wir bitten dich für die, die schon erkrankt sind, gib ihnen Zuversicht auf baldige Genesung und tröste ihre Angehörigen.

Wir bitten dich für die, die sich Sorgen machen, zu erkranken. Unser Leben ist doch ein Geschenk aus deiner Hand und unsere Tage waren in dein Buch geschrieben noch bevor wir waren. Lass uns ruhig und vertrauensvoll sein und nicht die Solidarität mit Kranken und Gefährdeten vergessen.

Herr, wir bitten dich für diejenigen, die in Heil- und Pflegeberufen arbeiten, gib Kraft für ihre schwierigen Aufgaben, gerade jetzt wo die Sorge und Panik vor einer ansteckenden unbekannten Krankheit die Menschen umtreibt und ihre Arbeit noch schwerer und auch gefährlicher macht und schütze diejenigen, die schon dem Kontakt mit dem Virus ausgesetzt sind.

Genauso bitten wir Dich für diejenigen, die die Versorgung aufrechterhalten: Kassiererinnen im Supermarkt, Lastwagenfahrer, Busfahrer, Müllmänner und all die anderen.

Herr wir bitten dich, für diejenigen, die durch das Erliegen des öffentlichen Lebens in wirtschaftliche Probleme kommen, oder die gar um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten müssen. Gib ihnen Zuversicht, dass sie mit den zugesagten staatlichen Hilfen die Krise überwinden.

Herr wir bitten dich für Entscheidungsträger in Regierungen und Parlamenten, Ländern und Kommunen aber auch in allen Organisationen und besonders unseren Kirchen. Gib ihnen Kraft, Besonnenheit und Klugheit aber auch Kreativität und Findigkeit, um mit dieser ganz neuen Herausforderung umzugehen und gute neue Lösungen zu finden.

Herr wir bitten dich besonders für diejenigen, die nicht über das internet und email virtuell am öffentlichen Leben teilhaben können, schicke ihnen Menschen, die sich mit Anrufen und Briefen um sie kümmern, damit sie nicht vereinsamen.

Herr schenke uns allen Besonnenheit und Klugheit, dass wir das Richtige tun, auf unser Vergnügen verzichten und uns auf andere Weise als durch direkten Kontakt um unsere Nächsten  kümmern, telefonisch, brieflich per email oder whats up. Hilf uns solidarisch zu sein mit denen, die stärker gefährdet sind als wir gesundheitlich oder wirtschaftlich.

Herr, lass uns diese Zeit der erzwungenen sozialen Enthaltsamkeit und Ruhe dazu nutzen uns auf die Dinge zu besinnen, die wichtig sind im Leben. Lass uns die Chancen nutzen, die darin liegen, dass die Kernfamilie auf sich gestellt ist, wir plötzlich viel Zeit haben zum Nachdenken aber auch zum Spielen und im besten Fall zu einem intensiveren Miteinander.

AMEN

Maren Topf-Schleuning

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