02/07/2024 0 Kommentare
Unser Schaukasten zur Feindesliebe
Unser Schaukasten zur Feindesliebe
# Schaukasten
Unser Schaukasten zur Feindesliebe
Schwierig!
„Die Bibel gebietet uns, unseren Nächsten zu lieben und auch unsere Feinde zu lieben, wahrscheinlich deshalb, weil es in der Regel dieselben Leute sind.“
Hier tun sich mir doch gleich mehrere Fragen auf:
Wer sind meine Nächsten? Wer sind meine Feinde? Und: Ist das wirklich so schwarz-weiß trennbar? Und: ist „Feind“ nicht ein viel zu großes Wort in meinem Alltagskontext? Wann ist jemand mein Feind? Würde ich nicht eher andere Kategorien aufmachen, wie zum Beispiel sympathisch – unsympathisch? Das würde dann auch nicht gleich so absolut klingen.
Mindestens eine kleine Empörung regt sich in mir bei dem Gedanken, dass meine Nächsten dieselben Leute sein sollen, wie meine Feinde. Ja, wozu habe ich denn meine Werte, meinen eigenen Kompass, an dem ich die Bewertung von richtig – falsch, gut – böse, Freund – Feind ausrichte!! Das können doch nicht die gleichen Leute sein! Oder?
Im Schaukasten ist der Text mit einem Bild von Michael Sowa illustriert – „Vater, Dritter von links“. Michael Sowa ist bekannt für seinen feinsinnigen Humor und gleichzeitig für seine am Kleinbürgerlichen verhaftete Detailverliebtheit.
Was ist das für eine Gruppe? Ist es ein Familienfoto, ein Firmenfoto, ein Foto zur silbernen Konfirmation? Irgendeine Verbindung besteht zwischen diesen Männern jedenfalls. Alle sehen gleich aus, wie uniformiert. Sind sie sich nahe, sind sie einander die „Nächsten“? Walter sticht etwas heraus. Er trägt zwar den gleichen Anzug, verzieht das Gesicht aber zu einer Grimmasse – ganz entgegen den Erwartungen an ein offizielles Foto. Welche Erwartungen werden an ihn von der Gruppe gestellt, welche Normen und Werte gelten dort? Und wie geht es der Familie von Walter mit dem Anders-Sein des Vaters? Ist Walter eher ein Vorbild auf das man stolz ist, weil er sich nicht (immer) anpasst und seinem „eigenen Kompass“ folgt? Oder ist er eher der peinliche Außenseiter, den man nur aus Pflichtgefühl zu den Familienfeierlichkeiten einlädt und den man im normalen Alltag eher meidet?
Die Familienmitglieder der aktuellen Konfirmanden – so auch ich - haben sich diese oder ähnliche Fragen eventuell auch jüngst gestellt. Wen lädt man ein und warum, oder warum eben nicht? Will ich Tante Heidrun eigentlich einladen? Die hat bei der Konfirmation unseres Ältesten darüber lamentiert, dass das zu ihrer Zeit auf dem Kirchenvorplatz alles viel strukturierter und geordneter zuging. Und was ist mit Opa Erich? Bei dem muss man aufpassen, dass der nicht zu viel Alkohol trinkt. Sonst überfordert er im angetüddelten Zustand wieder alle mit seinen politischen Meinungen. Will ich das? Das ist ja echt anstrengend! Andererseits: Über jeden auf der potenziellen Gästeliste gäbe es etwas auszusetzen. Wer bleibt da übrig? Die unauffälligen stromlinienförmigen ernsten Anzugträger? Irgendwie auch sehr langweilig. Mindestens so langweilig, wie das Foto, welches Michael Sowa in seinem Bild illustriert hat. Und was sagt das Foto, das dann von der Konfirmationsfeier unseres jüngsten Sohnes entsteht, über mich aus? Ein Abbild meiner engstirnigen Meinung darüber, wie etwas zu sein hat. Da ist plötzlich viel Wertung! Und wer richtet über mich? Wo werde ich nicht eingeladen? Wo bleibe ich allein? Wo bin ich Walter?
Gut, dass Walter heraussticht. An ihm bleibe ich mit meinen Gedanken hängen. Er irritiert mich – im besten Sinne, reißt mich heraus aus meiner (guten), gewohnten Struktur. Ich werde neugierig, beschäftige mich mit ihm. Warum macht er diese Grimmasse, wogegen lehnt er sich auf? Nun wird es sogar spannend und ich bin froh, dass Walter da ist. Welchen Blick auf die Situation hat er? Habe ich auch eine leise Stimme in mir, die die Sichtweise von Walter teilt? Ist er mir in diesem Moment ein Freund oder ein „Feind“? Wie viel Walter steckt in mir selbst? Zumindest nehme ich den Mut wahr und mit, sich nicht dem Gruppenzwang zu beugen. Auch ich darf meine eigene Meinung zum Ausdruck bringen, andere irritieren. Wenn wir die Walters einladen – in der Familie, in der Firma, im Verein – dann wird es bunt am Tisch. Vielleicht sogar quirlig und auch etwas anstrengend. Eventuell entsteht Reibung und damit die Chance auf Beziehung. Dann stelle ich mir – ganz Klischee – eine italienische Großfamilie vor. Da ist auch nicht alles eitel Sonnenschein, aber sehr lebendig.
Bleiben wir neugierig auf uns und die Anderen! Behalten wir das Herz offen!
Ich wünsche uns allen viele bunte Begegnungen in diesem Sommer – in der eigenen Familie, in unseren beruflichen Situationen, im Freundeskreis, im Urlaubsort. Ihre Claudia Kraffzig
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