Unser Schaukasten zum 9. November

Unser Schaukasten zum 9. November

Unser Schaukasten zum 9. November

# Schaukasten

Unser Schaukasten zum 9. November

Der diesmal vom Team „Offene Kirche“ gestaltete Schaukasten lädt zu zwei Veranstaltungen zum Gedenken am  9. November ein:

Do  9.11. 18.00 Uhr Gedenken am Stein, dann im Gemeindesaal
Synagogale Musik für Bratsche (Joanna Filus-Olenkiewicz) und Harmonium (Jörg Walter) mit Lesung aus der Erzählung „Die Sonnenblume“ von Simon Wiesenthal mit Nicola Jungsberger und Rabbiner Walter Rothschild

Fr. 10.11. 20.00 Uhr Gemeindesaal
Gespräch mit Nicola Jungsberger und Diskussion zur Neuausgabe der „Sonnenblume“ mit aktuellen Statements von Personen der Zeitgeschichte

Simon Wiesenthal überlebte den Holocaust. Als er 1942 im Konzentrationslager Lemberg gefangen ist und mit anderen Strafgefangenen zum Dienst in einem Lazarett abkommandiert wird, wird er zu einem sterbenden SS-Mann gerufen. Dieser bittet ihn um Vergebung für die Grausamkeiten, die er auf dem Feldzug jüdischen Familien angetan hat. Simon Wiesenthal hat Mitleid mit dem Sterbenden, aber er verweigert ihm diesen Wunsch. Nach dem Krieg schildert er diese Ereignisse in der Erzählung „Die Sonnenblume“. Sie endet mit Frage „Hätte ich, hätte überhaupt jemand ihm verzeihen sollen, verzeihen dürfen?“

Simon Wiesenthal hat sein Leben der Aufspürung und Überführung von NS-Täten gewidmet. Und sein Leben lang hat ihn die Frage umgetrieben, ob er hätte verzeihen müssen, denn der Sterbende bereute sein Verhalten wirklich,  ob er überhaupt hätte verzeihen dürfen, stellvertretend für die Opfer, und ob überhaupt Vergebung solcher Taten möglich sei und wenn ja durch wen.

Und er  stellt diese Fragen Persönlichkeiten seiner Zeit wie Carl Zuckmayer, Jean Amery, Hellmuth Gollwitzer und anderen und veröffentlicht diese Erzählung mit deren Antworten. In Deutschland erscheint das Buch erstmals 1970. Die Frohnauer Autorin und Künstlerin Nicola Jungsberger hat das Buch 2015 neu herausgegeben und dazu weitere Persönlichkeiten um Antworten gebeten, wie den Dalai Lama, Desmond Tutu, Marcel Ophüls, Aleida Assmann.

Als wir diese Frage im Redaktionskreis kurz diskutierten, war ich schnell mit meiner Antwort: Nein, er musste nicht verzeihen, verzeihen kann grundsätzlich nur das Opfer. Da das Opfer der Gewalttat aber getötet wurde, kann nur Gott diese Taten verzeihen. Immerhin hat Simon Wiesenthal dem SS-Mann zugehört, er hat gewissermaßen eine Beichte ablegen können und ist so schon friedlicher gestorben. Mehr konnte er nicht für ihn tun. Je länger ich darüber nachdachte und je mehr Stimmen aus dem Buch ich las, desto zweifelhafter wurde mir meine schnelle Antwort. Ist es wirklich so, dass den Tätern im Diesseits jede Vergebung versagt ist, trotz aller Reue? Ist die Vergebung nicht auch eine Befreiung für die Opfer und ihre Nachfahren? Macht nicht nur Vergebung den Weg frei für echte Versöhnung, für einen Neuanfang? Ist Vergebung nicht die einzige Hoffnung? Wenn die Vergebung – wegen des  Todes der Opfer -  durch andere, durch ein Kollektiv erfolgen muss, setzt die kollektive Vergebung nicht auch eine kollektive Schuld voraus?

Die aktuellen Ereignisse in Israel stellen diese Fragen mit neuer Dringlichkeit:       Wer kann die Greueltaten der Terroristen der Hamas vergeben? Die Übergriffe auf unschuldige Besucher eines Musikfestivals aus aller Welt? Die Ermordung von Kibbuzangehörigen in dem Land, das Israel zugesprochen wurde? Sie wurden in die Kollektivhaft genommen, unabhängig davon, wie sie zu den nationalreligiösen Siedlern im Westjordanland stehen, deren Verhalten zwar den Hass der Palästinenser geschürt hat, aber doch nicht solche barbarischen Übergriffe rechtfertigt. Und wer kann und soll die unzähligen Toten der Gegenoffensive im Gazastreifen verzeihen, und wem? Den Soldaten, dem jüdischen Volk, der Regierung?  

Die Fragen von Schuld – individuell und kollektiv- und von Vergebung – individuell und kollektiv stellen sich immer noch und immer wieder  so drängend wie 1945. Wo ist unsere Rolle als Menschen und Christen, wo müssen wir handeln? Wo können wir nur auf Gott als letzte Instanz vertrauen?  Seien sie willkommen zum gemeinsamen Nachdenken und Diskutieren.

Maren Topf-Schleuning

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