Predigt zum Sonntag Quasimodogeniti

Predigt zum Sonntag Quasimodogeniti

Predigt zum Sonntag Quasimodogeniti

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Predigt zum Sonntag Quasimodogeniti

Kollekte am Sonntag, den 19.04.2020

Die Arbeitsgebiete unserer Landeskirche, für die wir normalerweise während der Gottesdienstes Kollekte sammeln, sind auf unsere Spenden angewiesen. Deshalb bitten wir Sie auch an dieser Stelle um Ihre finanzielle Mithilfe.

Heute sammeln wir für die offene Arbeit mit älteren Menschen, die es Seniorinnen und Senioren ermöglicht, aktiv am Gemeindeleben teilzunehmen. Ob spannende Vorträge, gemeinsame Ausflüge oder Besuchs- und Fahrdienste: die Vielfalt der Angebote erfreut sich großer Beliebtheit. Besonders die Kirchengemeinden in ländlichen Gebieten sind dabei auf finanzielle Unterstützung angewiesen.

Wenn Sie eine Kollekte geben möchten, dann überweisen Sie sie bitte auf folgendes Konto:

DWBO
IBAN DE81 1002 0500 0003 1156 00
Verwendungszweck: Spende Offene Altenarbeit 19.04.2020 EKBO
Sie können für Ihre Spende auch das Spendenformular der EKBO geben unter www.ekbo.de/spenden.

Herzlichen Dank für Ihre Spende!


Lesen Sie nun die Predigt unseres Prädikanten Andreas Vetter zum Sonntag Quasimodogeniti am 19.4.2020.


Gnade von dem, der da war und der da ist und der da kommt. Amen

Liebe Gemeinde,

was sind das doch für verrückte Zeiten, in denen wir gerade leben.„Verrückt“ im wahrsten Sinne des Wortes sind unsere Tage. Nichts scheint mehr an seinem Ort, nichts ist mehr so, wie es vor der Pandemie war. Am deutlichsten sind die Einschränkungen in unserem persönlichen Miteinander zu erleben. Da heißt es Abstand halten: Berührungen, gar Umarmungen oder Zärtlichkeiten, die wir sonst als Zeichen der Wertschätzung und gegenseitigen Unterstützung erleben und brauchen, können heutzutage schlimmstenfalls tödliche Folgen haben. Und über das Persönliche hinaus, sehen viele auch ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage infrage gestellt, wenn nicht gar massiv gefährdet. Alle, deren Beruf davon abhängt, dass sie in persönlichen Kontakt mit anderen treten können, deren Einkommenserzielung davon abhängt, dass Begegnungen möglich sind und deren Dienste derzeit nicht gefragt sein können, spüren, wie zerbrechlich und fragil unsere doch so sicher geglaubte Existenz in Wahrheit ist. Und was waren das für Osterfeiertage, wenn sie denn überhaupt gefeiert wurden? Keine Besuche von Freunden und Familien waren möglich, keine gemeinsamen Gottesdienste erlaubt. Und auch unsere schon zur Tradition gewordene Feier der Osternacht in der Johanneskirche mit ihrer erhebenden Liturgie, den feierlichen Taufen und dem gemütlichen Beisammensein beim Osterfeuer im Anschluss an den Gottesdienst fiel den gesetzlichen Regelungen einerseits, der Einsicht der Menschen in das Vernünftige andererseits zum Opfer. Über die persönlichen Nöte, wirtschaftlichen Sorgen, die Einschränkungen und Entbehrungen sind viele mut- und kraftlos geworden. Manch eine(r) fragt sich, ob und wie es weitergehen wird, wie ein neuer Anfang gelingen kann, wenn denn die gesetzlichen Beschränkungen keine Gültigkeit mehr beanspruchen, wenn sie nicht mehr „Not“- wendig sind. In eine solche Zeit der Not und der Fraglichkeit des Lebens war ursprünglich auch der Predigttext für diesen Sonntag gesprochen worden, den wir beim Propheten Jesaja im 40. Kapitel, die Verse 26-31, nachlesen können:

„Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber«? Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden“.1

Die Worte stammen aus der letzten Zeit des babylonischen Exil, als das babylonische Reich bereits dem Untergang entgegenging.2 Der Predigttext berichtet uns von einer Diskussion zwischen dem Sprecher und den Hörern der Botschaft.3 Zur Erinnerung: Israel hatte alles verloren, was es bislang identitätsstiftend für sich in Anspruch genommen hatte, nämlich die Einheit von Thron und Altar mit dem Königspalast und dem zentralen Heiligtum in Jerusalem als politischen und religiösen Zentrum. Nach der militärischen Niederlage und der Deportation der Elite nach Babylon scheint die Exilgemeinde weit weg von der früheren Heimat in eine Krise geraten zu sein. Offenbar waren nicht nur erhebliche Zweifel an Israels Fortbestand aufgekommen, vielmehr war auch der Glaube an JHWH 4 als rettenden Gott schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Nachdem das Exil schon viele Jahre entfernt von Jerusalem andauerte, war es offenbar nicht damit getan, nur immer neue Heilsankündigungen zu formulieren, Denn gerade diese hatten ja aufgrund des so anderen Erlebens der Menschen vor Ort in der Verbannung die kritischen Einwände des Gottesvolkes hervorgerufen. Es stellte sich vielmehr die Frage nach den Grundlagen dieser Heilsankündigungen auf ganz neue Weise, waren doch die alten Verheißungen eines unabhängigen Gottesvolkes auf eigenem Grund und Boden durchgängig aufgrund der bisherigen Ereignisse obsolet geworden. Ein Thema, das der Verfasser des Predigttextes aufgegriffen hat, um der Trostbotschaft Gehör zu verschaffen, ist die Darstellung von JHWH als Schöpfer der Welt und Lenker der Geschichte. Dem Predigttext kam in seiner historischen Gestalt die Aufgabe zu, das Schöpfungshandeln von JHWH zu unterstreichen, weil der Glaube an ihn aufgrund der aktuellen Situation und Ereignisse radikal infrage gestellt wurde. Anders als Unheilsverkündigungen, die nicht auf die Zustimmung der Angesprochenen angewiesen sind, erforderten die Heilszusagen das Vertrauen und die Akzeptanz von Seiten der Adressaten, um überhaupt wirksam werden zu können. Die zweifelnden Gegenwartsfragen der Exilsgemeinde musste der Prophet mit der Gottesfrage beantworten.5 Ziel des Diskussionspartners war es, eine neue und erneuerte Identitätsfindung für Israel/Jakob zu ermöglichen. Der Prophet war sich sicher: nur wenn das Gottesvolk zu JHWH zurückfindet, findet es auch zu sich selbst zurück!6

Zu diesem Zweck erinnert der Prophet, dass es JHWH war, der die Himmelskörper geschaffen hat. Anders als die babylonische Umwelt, die in den Gestirnen Gottheiten erblickte, werden die Sterne und Planeten rein funktional betrachtet und der Herrschaft des Gottes Israels unterstellt. Der Blick in die Höhe soll die Angesprochenen von der Exklusivität und Souveränität JHWH´s und seiner Macht und unvorstellbaren Kraft7 überzeugen.8 Dem Propheten geht es mit dem Bericht über die Klage Jakob/Israels nicht darum, das Gottesvolk angesichts seiner schlimmen Erfahrungen zu tadeln. Er möchte aber das durch die Klage verschüttete Wissen um den rettenden Gott Israels wieder freischaufeln, möchte Skepsis und Hoffnungslosigkeit durchbrechen. Denn eines hat der Prophet erkannt: die Glaubenskrise des Volkes reicht tief. Jakob/Israel stellt das Gottsein JHWH´s radikal infrage: JHWH weiß nichts, er nimmt nichts wahr, alles geht an ihm wirkungslos vorüber, so der Tenor der Gemeinde. Das ist keine Klage mehr, die vor Gott in der Hoffnung gebracht wird, er möge das Schicksal wenden. Es ist vielmehr hoffnungslose Resignation und Enttäuschung.9

Dieser Haltung der Exilsgemeinde stellt der Prophet ein fast hymnisch anlautendes Bekenntnis entgegen. Die in der Klage ausgestreckte Hand ergreift der Sprecher, um darauf tröstend aufzubauen. Dazu lenkt er den Blick von der Klage weg zu dem, was dem Gottesvolk aus der Tradition bekannt ist. Das, worauf sich Jakob/Israel besinnen soll, zeigt die bekenntnishafte Formel: Ein Gott der Ewigkeit ist JHWH!10 Von diesem sonst im Alten Testament nirgends formulierten Credo hängt alles Weitere ab. Dabei ist der Begriff „Ewigkeit“ nicht nur der weiteste Zeitbegriff, der sowohl die fernste Urzeit und Vergangenheit als auch die gesamte Zukunft umfasst, sondern er ist auch theologisch von Bedeutung: Es ist die mit Geschichte gefüllte Zeit, ist die Welt als Geschichte, in der JHWH wirkt und über die er der absolute Herr ist. „Ewigkeit“ ist also die durch und durch mit Gottes Geschichte, mit seinem Plan für die Schöpfung, … gefüllte Zeit. Daher kann es keine Auszeit geben, eine Zeit, die sich sozusagen hinter dem Rücken JHWH´s abgespielt hat oder noch abspielen würde. Jede Zeit und jeder Raum stehen in seiner Macht, sind von ihm mit Geschichte gefüllt. Aber trotz seiner unaufhörlichen Schöpfertätigkeit wird JHWH weder müde, noch ermattet er. Er wird nicht müde, so wie es alte Leute werden. Während die Völker bei Geschichtsumbrüchen erst neue Kräfte mobilisieren müssen, um darauf reagieren zu können, ist das bei JHWH nicht der Fall. Er drängt nach vorne wie die Jugend, wie das neu hereinbrechende Zeitalter, denn er selbst ist die Quelle aller geschichtlichen Entwicklungen. Deswegen ist nur er es, der den Müden Kraft gibt und den Kraftlosen neue Stärke zukommen lässt. Die unermessliche Kraft, mit der JHWH das Heer der Gestirne heraufführt, zeigt sich nicht nur an den Bewegungen der Himmelskörper, sondern auch daran, dass er sich den auf Erden lebenden Menschen zuwendet.11

Wir wissen nicht, ob die Botschaft des Sprechers im sechsten Jahrhundert v. Chr. auf offene Ohren traf oder nicht. Auch ist uns nicht bekannt, ob sich die Hörer der Worte überzeugen ließen oder aber, ob sie skeptisch und verzweifelt geblieben sind.

Wie ist es denn bei uns? Glauben wir, dass unsere Gebete erhört werden oder steht zu befürchten, dass wir auf taube Ohren stoßen? Können wir glauben, das JHWH uns in diesen verrückten Tagen, in denen unsere gesamte Gesellschaft eine Auszeit zu nehmen scheint, Kraft und Stärke geben kann, so dass wir uns im Sturm mit Adlerschwingen12 erheben können? Schenkt uns die Erkenntnis, dass uns Gott auch in diesen Zeiten beisteht und nicht von der Seite weicht, neue Energie für den so ersehntenNeuanfang? Oder sind dies am Ende aller Tage doch nur leere Worte und Worthülsen, die uns in unserem Leben nicht weiterhelfen, weil wir an einen Gott, der sich anrühren, bewegen und gar in Mit-„Leiden“-schaft ziehen lässt gar nicht mehr glauben, genauso wie die Menschen vor über 2500 Jahren?

Nicht umsonst ist uns dieser Predigttext unmittelbar nach dem Osterfest aufgegeben. Ostern ist das Fest das Neuanfangs. Das Kreuz von Golgatha behält nicht das letzte Wort über den hingerichteten Gerechten, ist nicht der Schlusspunkt der Geschichte. Der Ewige belässt Jesus ihn nicht im Grab, sondern lässt ihn aus dem Grab zu neuem, wenn auch gezeichnetem Leben13 auferstehen.

Auch den Jüngerinnen und Jüngern Jesu ist ein neuer Anfang geschenkt. Sie verharren nicht am leeren Grab, in dem sie ihre Träume und ihr bisheriges Leben mit dem Wanderprediger Jesus begraben mussten. In der Begegnung mit Gott gewinnen sie neue Kraft und können einen Neuanfang wagen. Gottes Schöpfermacht, die sogar den Tod überwindet, beflügelt sie und lässt sie ihren Lebensweg fortsetzen, wenn sicherlich auch anders als von ihnen geplant. Selbst der historische Namensgeber der in der Prophetenrede14 angesprochenen Exilsgemeinde - „Jakob/ Israel“ -, ist nicht unverändert aus der Begegnung mit dem Ewigen hervorgegangen. In einem kräftezehrenden Kampf hat Jakob/Israel mit Gott gestritten und hat sein Leben hinkend, aber gesegnet und mit einem neuen Namen versehen fortgesetzt.15

Beides, der Predigttext und das Ostergeschehen, wollen uns vor Augen führen, das Gottes Geschichte mit uns Menschen weitergeht, selbst wenn wir glauben, wir seien am Ende. Die Erfahrungen unserer Väter und Mütter im Glauben, die sich in den biblischen Texten niedergeschlagen haben, wollen auch uns er-„Mut“-igen, die Zu-„Mut“-ungen unserer Zeiten zu ertragen, damit wir den Glauben an einen von Gott geschenkten Neuanfang nicht verlieren. Dieser Neuanfang ist mit Sicherheit kein schlichtes „Weiter so!“, als hätte es den Shutdown und die Einschränkungen der vergangenen Wochen und Monate nicht gegeben. Auch wir werden Gezeichnete sein, deren Leben sich durch die Ereignisse verändert.

Die Begegnung mit dem Ewigen will uns aber nicht nur Hoffnung auf einen Neuanfang machen, wenn sich die Tage unseres Lebens auf Erden neigen. Die Begegnung mit Gottes lebensspendender Schöpfungsmacht will uns schon hier und heute die „Not“-wendige Kraft für einen Neuanfang, für eine Auferstehung schenken, so wie es das Volk Israel mit seiner Rückkehr in das gelobte Land letztlich erfahren hat und wie die Jünger nach Jesu Tod und Auferstehung neu beflügelt weiterleben konnten. Wer mit Gottes Schöpfermacht in Berührung kommt, sich selbst von ihr berühren und bewegen lässt, dem wird es an der notwendigen Energie und Zuversicht für eine Auferstehung mitten im Hier und Heute - wenn auch zu anderen Bedingungen - nicht fehlen.

Die Dichterin Marie Luise Kaschnitz erinnert an diese ganz diesseitige Dimension des Glaubens an die Auferstehung. Sie schreibt:

„Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.“

Und der Friede Gottes, der all unser Verstehen übersteigt, bewahre uns im Christus Jesus.

Amen, das werde wahr!


1 Text nach der Lutherbibel 2017
2 Fohrer, Zürcher Bibelkommentare, Jes 40-66, Seite 2
3 Die Worte wurde in der älteren Forschung dem sog. Zweiten Jesaja = Deuterojesaja zugeschrieben, z.B. Fohrer, aaO. In der neueren Forschung tendiert man eher dazu, eine ganze Personengruppe oder Schule anzunehmen, die in der Autorität und unter dem Namen des historischen Jesaja wirkte, so. z.B. Berges in Herders Theologischen Kommentar zum AT; Zapff, Die Neue Echter Bibel, Kommentar zum Alten Testament, Jes 40-55; Albertz, Biblische Enzyklopädie, Band 7, Die Exislzeit
4 Dort wo im Predigttext in großen Buchstaben „HERR“ steht, steht im Urtext der Eigenname Gottes, das Tetragramm = JHWH. Der Eigenname Gottes ist unaussprechlich, weshalb dieser nur mit verschiedenen Begriffen zu umschreiben ist. Möglich ist eine Wiedergabe als der „Ewige“ oder auch die Begriffe des jüdischen Geschwistervolkes mit „ha shem“ (=der Name) oder „adonaj“ (=Herr).
5 Berges in Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament, Jes 40-48, Seite  53
6 Berges, aaO, Seite 48
7 Jes 40,26
8 Berges, aaO, Seite 155
9 Berges, aal, Seite 158
10 Jes 40,28
11 Berges, aaO Seite 159.161
12 Jes 40.31
13 Das Evangelium für diesen Sonntag ist die Geschichte des ungläubigen Thomas, der erst dann an die Auferstehung glaubt, als er Jesu Wunden der Folter und Kreuzigung sehen kann, die dieser auch noch an seinem Auferstehungsleib trägt, Joh 20.19-29
14 Jes 40.27
15 Gen 32.23 ff.

Foto: pixabay.com



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