02/07/2024 0 Kommentare
Unser Schaukasten zur Passionszeit
Unser Schaukasten zur Passionszeit
# Schaukasten
Unser Schaukasten zur Passionszeit
Du stellst meine Füße auf weiten Raum
Im Zentrum des aktuellen Schaukastens steht das sogenannte Hungertuch der Fastenaktion von Miserior, die in diesem Jahr gemeinsam mit Brot für die Welt ein ökumenisches Zeichen für den möglichen Wandel besonders in Südamerika setzen will. Du stellst meine Füße auf weiten Raum (Psalm 31,9) ist das Motto der Aktion.
Das Hungertuch, Fastentuch oder Passionstuch geht auf einen über 1000-jährigen christlichen Brauch zurück, das Kreuz zwischen Aschermittwoch und Ostern zu verhüllen. Auch mit den Augen sollte gefastet werden, der prunkvoll geschmückte Altar und das Kreuz sollten nicht zu sehen sein. Folglich waren die Fastentücher zunächst einfarbig, so wie das lilafarbene in unserer Kirche, später wurden sie immer reichlicher verziert. Miserior hat diese Tradition 1976 aufgegriffen und lässt alle zwei Jahre ein Passionstuch von einer anderen Künstlerin gestalten.
Dieses ist von der in Deutschland lebenden Chilenin Lilian Moreno Sánchez. Basis des Bildes ist ein Röntgenbild, das den mehrfach gebrochenen Fuß eines Menschen zeigt, der 2019 in Santiago de Chile bei Demonstrationen gegen soziale Ungleichheit durch die Staatsgewalt verletzt worden ist. Du stellst meine Füße auf weiten Raum - Kraft zum Wandel nennt die Künstlerin ihr Tuch.
Der Mann, dem der mehrfach gebrochene Fuß gehört, kann vorerst gar nicht und vielleicht nie mehr richtig laufen. Dass seine Füße von Gott auf weiten Raum gestellt sind, wird brutal unterbrochen, er wird seiner Bewegungs- und Handlungsmöglichkeiten beraubt. Aber Heilung ist möglich, deshalb ist das Tuch aus Krankenhausbettlaken gefertigt und Leinöl, das an heilendes Salböl erinnern soll, hineingegeben. Für Heilung, Hoffnung und Liebe stehen auch die goldenen Blumen, die das monochrome Schwarzweiß des Tuches auflockern.
Und auch eine Heilung der brutalen Staatsgewalt, die zu seiner Verletzung geführt haben und der Armut und sozialen Ungerechtigkeit, die zu der Demonstration geführt haben, sind langfristig möglich mit unserer Solidarität. Das ist das Anliegen der Künstlerin und auch der ökumenischen Fastenaktion. Wir sind frei, auch unsere Füße hat Gott auf weiten Raum gestellt, wir müssen sie nur benutzen, unsere Füße und unsere Kräfte. Dann können wir aus der Enge der Angst aufbrechen ins Weite und Kraft schöpfen für den Wandel.
Aber der gebrochene Fuß erinnert auch an den gekreuzigten Jesus, dem ja auch die Beine gebrochen und die Füße durchbohrt wurden, der dadurch auch zur Untätigkeit und Ohnmacht am Kreuz verdammt war. Du stellst meine Füße auf weiten Raum muss ihm wie Hohn erschienen sein in dem Moment. Und doch ging seine Geschichte weiter, war nicht zu Ende mit dem Kreuzestod. Im Gegenteil, das Ostergeschehen, seine Auferstehung ließ die Geschichte erst richtig beginnen. Sein Wirken erfasste die Menschen in der ganzen Welt und seit 2000 Jahren. Seine Füße hat Gott in ganz weiten Raum gestellt.
Und ähnlich ging es auch den Menschen, an die in den diesjährigen Reinickendorfer Passionsandachten (immer mittwochs 18 Uhr, weitere Hinweise auf der Webseite unserer Gemeinde) erinnert wird: Ingeborg Jacobson, Elisabeth von Thadden, Maksymilian Kolbe , Dietrich Bonhoeffer, Sophie Scholl, Paul Schneider und Janusz Korczak wurden durch die Nationalsozialisten ihrer Freiheit und ihrer Wirkmöglichkeit beraubt, und zwar für immer. Keine Füße mehr auf weitem Raum, brutal ermordet.
Und doch war auch ihre Geschichte damit nicht zu Ende. Sie wurden zu Beispielen, wie Christen sich einer menschenverachtenden Diktatur mit einer brutalen Mord- und Kriegsmaschinerie entgegenstellten. Beispiele, die uns heute aufatmen lassen und ermutigen, aber zugleich auch beschämen.
Du stellst meine Füße auf weiten Raum.
Herr, gib mir auch die Kraft und den Mut, sie zu benutzen und loszugehen.
Maren Topf-Schleuning
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