02/07/2024 0 Kommentare
Aktueller Schaukasten: Jahreslosung 2015
Aktueller Schaukasten: Jahreslosung 2015
# Schaukasten
Aktueller Schaukasten: Jahreslosung 2015
Jahreslosung 2015
Darum nehmt einander an, wie Christus Euch angenommen hat zu Gottes Lob
Traditionell illustriert einer der ersten Schaukästen im neuen Jahr die Jahreslosung, die diesmal dem Römerbrief Kap. 15, Vers 7 entnommen ist.
In weißen Lettern ist der Text der Jahreslosung auf die vordere Glasscheibe des Schaukastens geschrieben – und – je nach Beleuchtung – ist die Schrift dahinter gar nicht so einfach zu lesen. Auf einem stehenden zerknüllten Bogen Packpapier, der wiederum angeordnet auf einem einfachen Jutesack, kann man einige Worte entziffern, die sich zu einem Gedicht von Sybille Lewitscharoff, einer bulgarisch-jüdischen Schriftstellerin, die in Berlin lebt. fügen:
Flüchtlinge
Verrecken, verhungern
Werden erschossen, zermalmt, geköpft
Fliehen mit Sack und Pack
Oder fast gar nichts
Auf verlassenen Booten
Viele ertrinken im Mittelmeer
Den Wohlstand, in dem ich selbst lebe
Kann ich nicht mehr unbeschwert genießen.
In eindringlicher Weise macht der Schaukasten auf die Not der Flüchtlinge aufmerksam. Ja, auch so kann man den Text lesen, als Aufruf zur tätigen, offenherzigen, vorurteilsfreien Hilfe für diejenigen, die in Not sind. Da ist einfach Mitmenschlichkeit gefragt, da greifen die Gebote aus der Bergpredigt, Hungernden zu Essen zu geben, Nackte zu kleiden, Fremde aufzunehmen. Und doch sind wir so hilflos gegenüber der Not und können so wenig tun gegen die Folgen einer verfehlten Entwicklungshilfepolitik.
Aber eigentlich geht es im Römerbrief im 15. Kapitel um religiöse Toleranz.
Paulus ermahnt die tief zerstrittene römische Gemeinde zu Einigkeit und Toleranz. Der Streit geht um die Frage, ob die jüdischen Speisegesetze auch von der jungen Christengemeinde einzuhalten sind oder nicht. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, den wahren Glauben zu verraten und beide Seiten sind offenbar – wenn man bei Paulus zwischen den Zeilen liest, unglaublich bigott und halten sich auf jeden Fall für die besseren Christen. Die einen, weil sie in der jüdischen Tradition ihre Speisegesetzen einhalten und die anderen, weil sie diese alten Zöpfe überwunden haben, sich an derlei Regelwerk nicht festhalten müssen, und mithin über den stärkeren Glauben verfügten als die Traditionalisten. Paulus erteilt beiden Lagern eine Absage und eine Mahnung: Es kommt auf die Frage der Einhaltung der Speisegesetze gar nicht entscheidend an, sondern auf den Glauben. Wer aber meint, Gott durch die Befolgung der althergebrachten jüdischen Regeln besser zu dienen oder sich unrein oder einfach unwohl fühlt, dagegen zu verstoßen, der soll an den alten Bräuchen festhalten. Und wer das nicht tut, soll sich deshalb nicht überlegen fühlen. Für beide Gruppen ist in der Gemeinde gleichberechtigt Raum, für die, die sich vom Judentum zum Christentum bekehrt haben, ebenso wie für die anderen, die sog. Heidenchristen, so schreibt es Paulus den christlichen Römern ins Stammbuch.
Die Debatte um die Speisegesetze stand ja stellvertretend für die kulturelle Verschiedenheit der beiden Gruppen. Dies mag auch der entscheidende Grund für die darunterliegende gegenseitige Ablehnung, ja den unterschwelligen Hass gewesen sein.
Mit der Debatte um die Speisegesetze sind wir dann sehr schnell auch am Kulminationspunkt der heutigen Flüchtlingsproblematik: Die Flüchtlinge kommen aus einem anderen Kulturkreis, die meisten gehören einer anderen Religion an, dem Islam. Wenn heutzutage in den Medien über religiöse Fragen debattiert wird, geht es in der Regel um den Islam: Kopftuch- und Verschleierungsdebatte, Beschneidung, Schächtung von zu verzehrendem Vieh, Teilnahme am Schwimm-unterricht, Gebetsraum für muslimische Schüler.
Jesus hat auch die Tochter der Kanaaniterin von ihrer Besessenheit geheilt, obwohl sie nicht zu seiner Religion gehörte. Matthäus 15 Vs 21 bis 28.
„Nehmt einander an, wie Christus Euch angenommen hat“ – das gilt
auch für den Respekt und die Toleranz gegenüber den bei uns lebenden oder jetzt neu zu uns kommenden Muslimen, die ihre Speisegebote halten, die ihre Neugeborenen beschneiden lassen, die in langen Kleidern den Schwimmunterricht besuchen und Kopftuch tragen.
Jesus hat auch die Andersgläubigkeit der Frau aus Samarien am Jakobsbrunnen toleriert, Johannes 4 Vs 5 bis 26, ohne jedoch seine Botschaft zurückzunehmen. Das heißt er hat auch ihr Toleranz abverlangt und ihr freigestellt, sich zu seinem Glauben zu bekehren.
Damit ist für mich als Christ und auch als Staatsbürger klar, dass religiöse Toleranz nicht heißen kann, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu dulden, ob es sich um Ehrenmorde handelt oder um terroristische Anschläge von islamistischen Extremisten. Dem müssen wir entgegentreten mit allen Mitteln des Rechtsstaates und einer freiheitlichen Gesellschaft. Da ziehen wir aber mit 95 % der in Deutschland lebenden Muslime an einem Strang, die laut der kürzlich veröffentlichten Bertelsmann Studie die Demokratie für die beste Staatsform halten.
Schwieriger wird die Frage, ob wir es als Christen gutheißen, dass sich das Christentum mehr und mehr aus der Gesellschaft zurückzieht während der Islam deutlich sichtbarer wird. Ich persönlich finde es schade, wenn in staatlichen Schulen und Kindergärten mit Rücksicht auf die Muslime Weihnachtsfeiern in Lichterfeste umgewandelt werden, Martinsumzüge in Laternenfeste, wenn christliche Symbole oder auch einfach die deutschen Weihnachtsbräuche wie Adventskranz und Tannenbaum verschwinden. Ich finde, hier können auch wir Toleranz für unsere Traditionen erwarten.
Andererseits können wir die Augen davor nicht verschließen, dass unser Staat säkularer werden wird und vielleicht werden muss, wenn eine größer werdende Bevölkerungsgruppe (derzeit 7 %) muslimischen Glaubens und/oder muslimischer Tradition ist. Und wenn die Christen selbst so wenig für ihre Religion eintreten und die Deutschen für ihre Traditionen, dann sind ihnen diese wohl nicht mehr so wichtig?
Da sind wir noch am Anfang der Debatte und da scheint sich seit den Ereignissen in Dresden etwas zu tun. Da äußert sich ein Unbehagen, eine Angst um die eigene kulturelle Identität, ja auch unreflektierte Fremdenfeindlichkeit ist dabei. Christlich motiviert sind bzw. waren die ostdeutschen Demonstranten ersten Untersuchungen zufolge allerding kaum. Im Gegenteil, vielmehr stößt sich eine überwiegend atheistisch erzogene Gesellschaft an der Massivität des Religiösen überhaupt und dann erst recht an einer fremden Religion. Im katholischen Rheinland hat man offenbar weniger Probleme mit den muslimischen Mitbürgern als in Sachsen, wo es fast keine Muslime gibt.
Aber auch diese kulturelle Debatte muss mit Toleranz und Respekt gegenüber allen Positionen geführt werden. 57 % der Deutschen fühlen sich nach der zitierten Bertelsmannumfrage im eigenen Land fremd oder finden, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört. Dann kann die veröffentlichte Meinung diese Mehrheit der Bevölkerung nicht ignorieren oder pauschal und zum Teil unflätig abqualifizieren und in die rechte Ecke stellen. Wenn wir diese religiöse und mehr noch gesellschaftliche Diskussion nicht sehr umsichtig, respektvoll und außerordentlich differenziert führen, werden sich beide Seiten radikalisieren. Wenn wir im Umgang miteinander nicht das Gemeinsame sehen, was uns als Geschöpfe Gottes verbindet, sondern nur das Trennende betonen, wird es zusehends schwieriger, einen gesellschaftlichen Generalkonsens zu finden. Hier sind wir auch als Christen gefragt, unsere Stimme in der öffentlichen Debatte zu erheben für Respekt und Toleranz.
Maren Topf-Schleuning
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